Atelier
KONSTANTIN LANGE


Die Dinge laufen davon

Zu den poetischen Objekten von Konstantin Lange


In seinen Aktionen und Foto-Performances ist Konstantin Lange zugleich Benutzer wie auch Opfer merkwürdiger poetischer Objekte. Gegenstände wachsen insgesamt oder in einzelnen Teilen über alle Maßen und gleiten dem Künstler aus der Hand. Eine Schubkarre bekommt übermäßig lange Griffe und läuft dem Künstler so gewissermaßen weg; ein Schirmstock wächst in den Himmel, fliegt metaphorisch davon, wird zu einem seltsamen Luftsignal; eine Krawatte nimmt kein Ende, umschlingt den Akteur wie ein Lasso; eine Sonnenblume entwickelt übermächtige Blütenstiele, der Künstler, der sie trägt, wird daneben zum Liliput. Zwischen Mensch und Objekt manifestiert sich in diesen Aktionen ein Konfliktpotential. Die Objekte gewinnen gleichsam Eigenleben, verlieren die gewohnte Form, entziehen sich dem menschlichen Zugriff. Selbst Körperteile – langes Bein, lange Finger – geraten auf groteske, clowneske Weise außer Kontrolle.


Solche spannungsvollen Sketche bleiben nicht auf die Foto-Performances und Aktionen beschränkt. Auch die autonomen Skulpturen von Konstantin Lange thematisieren merkwürdige innere Widersprüche. Die bestimmten Definitionen der Dingwelt geraten durch hybride Kombinationen ins Wanken. So sind bei der Skulptur „Isolatorköpfe“ weiße Miniaturköpfe aus Polyester auf ein Knäuel weißer Elektrokabel gesteckt. Die Köpfe, alle von identischer Gestalt, stehen gleichsam unter Strom, sind eingespannt in ein rhizomhaftes Liniennetz. Haben die Köpfe hier eine Funktion oder sind sie nur Metapher? Man kann die Skulptur als ein Bild eines bewegten Gedankenflusses lesen. Bei der Skulptur „Wärmflaschen“ dienen ähnliche Köpfe, diesmal aus rotem Gummi, dagegen als Stöpsel, Hüter einer Wärmebatterie. Der Kopf gewinnt als Teil der Dingwelt eine absurde Funktionalität. Andere Objektskulpturen beschränken sich auf Widersprüche in der Sprache der Dinge, ohne jede Anspielung auf die menschliche Figur. Ein über den Boden rollender Flugzeugreifen zeichnet bei „Profilierung Mach 1“ nicht etwa sein Profil auf ab, sondern streut auf dem Boden das Wachs-Ornament eines gegenständlichen Arsenals aus – vom Kruzifix bis zur Schraubenmutter. Ornament überrollt die Realität.

In „Vase mit Flugzeug“, aus Dämmplatten und aus Holz, signalfarben bemalt, ist ein Flugkörper in eine Vasenform gestürzt – wieder verkehren sich die Maßstäbe, erscheint die Situation grotesk. Eine Serie von Kopfskulpturen, von „Synapsenkopf“ bis „Glotzkopf“, ist aus miteinander verklebten Fundstücken gefertigt, eine Archimboldi-Variante in moderner Form. Das „Gürteltier“ ist aus veritablen Gürteln gefertigt, Ikon und Wort durchkreuzen sich.

Was Duchamp mit der Erfindung der Objektkunst für die Kunstgeschichte leistete wird hier in einem absurden Spiel revidiert. Das Ready-made wird zurückgeholt in einen skulpturalen Prozeß, wird figurativen Strategien unterworfen. Es ist die zersetzende sublime Kraft der Poesie, die hier im Werk von Konstantin Lange, ob als Aktion oder als Skulptur, diese Revisionen systematisch betreibt.


Stephan von Wiese